Der solide Fiskalpakt oder Wie Illusionskünstler uns verschaukeln

Der Fiskalpakt soll die Staatsverschuldung in der Eurozone bremsen. Er hält Staaten zum strikten Sparen an. Staaten können andere Staaten verklagen, die gegen die Grundsätze solider Haushaltsführung verstoßen. Er ist eine „kluge Kombination“ (CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe) aus Spar- und Wachstumspolitik und „wird europaweit solides Haushalten sicherstellen“ (Gröhe).

Wer so redet, hat den Fiskalpakt entweder nicht gelesen oder will Nebelkerzen werfen. Denn tatsächlich tut dieser „Fiskalpakt“ (offizieller Name:  „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion“ – SKS-Vertrag)  nur, als ob dies so sei.

Es beginnt damit, daß dieser „Pakt“ die bekannten Maastricht-Regeln (60% Gesamtschuldenstand im Verhältnis zum BIP, 3% erlaubte jährliche Neuverschuldung) nach wie vor verfolgt – und dann 12 Seiten benötigt, um alle Ausnahmen, Relativierungen, Einschränkungen, Abweichungen, Verwässerungen und Verschleierungen zu nennen – das sattsam bekannte Wortgeklingel nicht mitgerechnet.

Artikel 3 Absatz 1 will uns sagen, daß die Vertragsparteien die im folgenden genannten Vorschriften anwenden. Verpflichtend?

Dieser Artikel 3 regelt:

  • daß ein Haushalt mit einem „strukturellen Defizit“ (was ist „strukturell?) von 0,5% vom BIP als ausgeglichen gilt,
  •  „Die Vertragsparteien stellen eine rasche (was ist „rasch“ – 3 Monate? Ein Jahr? Fünf Jahre?) Annäherung an ihr jeweiliges mittelfristiges Ziel sicher. Der zeitliche Rahmen für diese Annäherung wird von der Europäischen Kommission unter Berücksichtigung der länderspezifischen Risiken (nach welchen Kriterien wird „berücksichtigt“?) für die langfristige Tragfähigkeit vorgeschlagen werden.“
  •  Von diesem Ziel darf immer dann abgewichen werden, wenn die Artikel 3 Absatz 3 Punkt B definierten „außergewöhnlichen Umstände“ vorliegen: „Außergewöhnliche Umstände“ sind ein außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle der betreffenden Vertragspartei entzieht und erhebliche Auswirkungen auf die Lage der öffentlichen Finanzen hat, oder ein schwerer Konjunkturabschwung im Sinne des geänderten Stabilitäts- und Wachstumspakts, vorausgesetzt, die vorübergehende Abweichung der betreffenden Vertragspartei gefährdet nicht die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen.“

Der Fiskalpakt

Der Fiskalpakt steht in der Tradition von Anstrengungen der EU, die bislang weitestgehend souverän ausgeübte Haushaltspolitik durch ein übergeordnetes Gremium bzw. eine übergeordnete Vereinbarung zu koordinieren und damit teilweise der Souveränität der einzelnen Staaten zu entziehen.

Die Regelungen zur Koordinierung sollten ursprünglich am 09. Dezember 2011 im Rahmen einer – Einstimmigkeit erfordernden – Änderung der EU-Verträge beschlossen werden, was am Veto von Briten-Premier Cameron scheiterte. Als Folge wurde ein neuer zwischenstaatlicher Vertrag fällig – eben der Fiskalpakt -, dessen Verhandlungen am 31. Jan. 2012 abgeschlossen und der am 02. März 2012 von 25 der 27 EU-Staaten unterzeichnet wurde (Ausnahmen: UK und Tschechien).

Zur Gültigkeit muß er auch ratifiziert werden. Dies ist bislang in Griechenland, Portugal und Slowenien der Fall; Irland stimmt am 31. Mai im Rahmen eines Volksentscheids darüber ab.

In Deutschland ist zur Ratifizierung eine 2/3-Mehrheit erforderlich, die SPD hat bereits Ablehnung signalisiert und wünscht eine „Wachstumskomponente“. Die Abstimmung war geplant für den 24.05. Mittlerweile steht als Tagesordnungspunkt nur noch die Überweisung in die zuständigen Ausschüsse. Am 1. Juli soll der ESM in Kraft treten, der aus Regierungssicht nur Sinn macht, wenn der Fiskalpakt als „Schuldenbremse“ diesem zugeordnet wird.

Im Punkt davor wird auch die von mir aufgeworfene Frage beantwortet, was ein „strukturelles“ Defizit ist: „a) Jährlicher struktureller Saldo des Gesamtstaats ist der konjunkturbereinigte jährliche Saldo ohne Anrechnung einmaliger und befristeter Maßnahmen.“

Das bedeutet schlicht und simpel: Diese 0,5%-Klausel ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Denn nach EU-Logik befinden wir uns in einem außergewöhnlichen Ereignis, das sich staatlicher Kontrolle entzieht, weil durch die bösen, bösen Märkte verursacht, weswegen man ja auch eine eigene Rating-Agentur aufbauen wollte. Und wenn Griechenland für die Bezahlung seiner Beamten zwei Jahre lang (befristet!) Schulden aufnimmt und dadurch die o,5%-Hürde reißt, ist das völlig in Ordnung.

 Aber dabei bleibt es nicht:

Wie will man objektiv messen, wann ein Staat gegen diese Bestimmungen verstößt? Es geht natürlich nicht, folglich muß das die EU-Kommission empfehlen und der EU-Rat entscheiden. Und wenn dieser einen Verstoß konstatiert, greift Artikel 4, wonach die Schulden in den nächsten 20 Jahren (!) abzubauen („um durchschnittlich ein Zwanzigstel jährlich“) sind. Solange – 20 Jahre – zahlt der ESM, solange zahlt Deutschland.

 Dann werden die Entscheidungs-träger parlamentarischer Kontrolle enthoben: Die EU-Kommission sowie der Europ. Rat sind zuständig für das Feststellen einer Krise, die Definierung der Mittel dagegen, der Kontrolle ihrer Anwendung (Artikel 5). Und die Regierungen? Da greift Artikel 7: Wenn die EU-Kommission bei einem Staat Schuldenwirtschaft feststellt, und die Regierungen der

Euro-Staaten mit qualfizierter Mehrheit das nicht so sehen, bleibt die EU-Kommission auf ihrer Schadensfeststellung sitzen – und alles geht weiter wie gehabt. Soviel zum Thema „Automatismus“.

Und was ist mit den Parlamenten, den Volksvertretungen? Die werden zusammen mit dem EU-Parlament in Artikel 13 entmachtet: Sie bestimmen „über die Organisation und Förderung einer Konferenz von Vertretern der zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments und von Vertretern der zuständigen Ausschüsse der nationalen Parlamente, um die Haushaltspolitik und andere von diesem Vertrag erfasste Angelegenheiten zu diskutieren.“

Zu diskutieren. Also nicht: zu entscheiden. Gut, daß wir drüber geredet haben.  Das ist so, als wenn man zwei Putzfrauen befiehlt, diese und jene Ecke nochmal nachzuputzen und es ihnen überläßt darüber zu reden, ob sie dafür Scheuerlappen, Besen oder Handfeger nehmen wollen. Legislative – und die damit einhergehende Trennung der Staatsgewalten – geht anders.

 Apropos reden: Artikel 10 legt fest, daß die Euro-Staaten  „den Anforderungen der Verträge, …., entsprechend … bereit (sind), in Angelegenheiten, die für das reibungslose Funktionieren des Euro-Währungsgebiets wesentlich sind, wann immer dies angemessen und notwendig ist, von … der … vorgesehenen Verstärkten Zusammenarbeit
aktiven Gebrauch zu machen.“

Eine kluge Entscheidung, diese Selbstverständlichkeit vertraglich einzumeißeln  – bei Griechenland könnte man mittlerweile Zweifel am Willen zur Zusammenarbeit haben. Diese Zwangsbestimmung sagt aber eben auch aus, daß den Politikern der Zwist und der – bis zum Haß reichende – einziehende Unfriede in der Eurozone klar war, während man dem hiesigen Publikum immer noch salbungsvoll von Friede, Freiheit und Einigkeit erzählt.

In der Gesamtschau wird deutlich: Hier wird nichts endgültig definiert und festgelegt, alles bleibt verhandelbar, auslegbar,  im mehr oder weniger willkürlichen Ermessen stehend, relativierbar – nichts, buchstäblich nichts, ist verbindlich abschließend und nicht-verhandelbar geregelt.

Man fragt sich, für wie dumm die Politik eigentlich die Bevölkerung hält. Und man fragt sich, warum die Abgeordneten des Bundestages ihrer Entmachtung und Bevormundung so  gern und freiwillig zustimmen wollen.

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