Sarrazin, der Euro und die deutsche Geschichte

Mit seinem neuen Buch „Europa braucht den Euro nicht“ stößt Thilo Sarrazin eine längst überfällige Debatte an. Wie überfällig, zeigten die hysterischen Reaktionen auf seinen angekündigten Auftritt gestern abend bei Günther Jauch. Denn wäre seine in Buchtitelform gegossene These jenseits der Realität, gäbe es für die Aufregung auch keinen Grund. Aber die empfindlichen Reaktionen vor allem aus dem rot-grünen Lager  zeigen: Volltreffer. Offenbar braucht es jemanden wie Sarrazin, um hierzulande Tabus zu brechen.

Die Kritik am Euro ist noch älter als der Euro selbst und reicht zurück bis zum Maastricht-Vertrag, der am 01. Januar 1993 in Kraft trat – 21 Monate nach dem 2+4-Vertrag über die deutsche Vereinigung.

Die zeitliche Nähe dieser beiden epochalen Verträge legt auch eine inhaltliche, ja kausale Nähe nahe. Zumal es bei der in Maastricht festgelegten Wirtschafts- und Währungsunion nicht nur um eine wirtschaftliche, sondern auch um eine politische Union ging. Man vergißt den zeitlichen Ablauf dieser zeitweise zeitlich parallel ausgehandelten Verträge und seine Bedeutung: Deutschland unterwarf mit der Währungsunion erst seine Wirtschaftskraft der politischen EU-Kontrolle – und durfte sich danach wiedervereinen. Das war kein Zufall.

Folglich sah sich schon in den 90ern jeder, der auf die z.T. haarsträubenden Konstruktionsfehler des Euro hinwies, als „D-Mark-Nationalist“ bezeichnet in der politischen Aschenputtel-Ecke wieder. Denn die Befürworter argumentierten politisch mit der Union und dachten die Vereinigung immer im Hinterkopf mit. Für den älteren Fernsehzuschauer dürfte die gestrige Diskussion zwischen Sarrazin und dem SPD-Abgeordneten und potentiellen Kanzlerkandidat Peer Steinbrück daher Erinnerungen wachrufen an die damaligen Argumentationslinien und Feindbilder.

Denn immer dann, wenn Sarrazin ihm mit Wirtschaftsdaten kam, wich Steinbrück auf den politischen Charakter der Wirtschafts- und Währungsunion aus (man kann sich die Sendung hier nochmals anschauen). Und er verhedderte sich in einem äußerst wichtigen Punkt (ab 25:00), als er zur Verteidigung des Euro Ex-Kanzler Helmut Schmidts Auffassung so wiedergab: „Wenn wir die Ur-Motive der europäischen Integration nicht gegenwärtig haben, wenn wir die Verpflichtungen aus der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht präsent haben, dann fehlen uns die politischen Voraussetzungen, um mit der derzeitigen Lage in Europa fertig zu werden.“ Um dann weiter zu argumentieren, daß Deutschland eine politische Verpflichtung habe, den Kontinent zu stabiliseren, wodurch sich wiederum Verpflichtungen ergäben. Eine Infragestellung des Euro hingegen könne zur Destabilisierung von Gesellschaften und Staaten führen.

Aber ist es nicht so, daß diese längst zu beobachtende Destabilisierung ihre Ursache im  Euro hat? Hier griff Jauch leider in der ansonsten von ihm fair moderierten Debatte nicht ein. Aber Steinbrücks Argumentationskette wurde später deutlich, als er meinte, daß die Staatsverschuldung der europäischen Länder Ergebnis der vorhergehenden, in den USA entstandenen Subprime-Krise war, die um den Globus schwappte.

Dieser Zusammenhang – erst war die Subprime-Krise, aufgrund derer die hohen Staatsschulden entstanden, die dann zur Eurokrise führten – ist so natürlich NICHT richtig. Denn wie jeder weiß, hatten Griechenland und etliche andere Länder bereits lange vorher Schuldenberge angehäuft. Schon in den 90ern – genauer: ab 1994, als eine „Reifeprüfung“ der einzelnen Euro-Kandidaten durchgeführt wurde – machten ja Nachrichten über Schummeleien die Runde: Italien verkaufte zur einmaligen Aufhübschung seines Staatshaushaltes Gold, Griechenland verlagerte milliardenschwere Staatsaufträge in die Zukunft, um nur zwei Beispiele zu nennen. Es wurde getrickst, was die staatliche Buchhaltungskunst hergab.

Steinbrück hat hier Ursache und Wirkung schlicht umgedreht: Der Euro als Brandstifter wird Brandopfer. Und soll nun noch den Feuerlöscher spielen.

Deutschland hat aus seiner Geschichte eine Verantwortung. Diesem Blickwinkel Steinbrücks kann man zustimmen. Damit aber stimmt er just genau dem Zitat von Sarrazin zu,  das für die ganze Aufregung gesorgt hat: daß wir nämlich auch wegen unserer Nazi-Vergangenheit zahlen. Der Unterschied ist nur: Steinbrück befürwortet dies, Sarrazin nicht. Aber in Abrede zu stellen, daß es diesen Zusammenhang gibt, wie Steinbrück dies tat, ist albern.

Und es ist auch nicht hilfreich, unsere Geschichte auf diese 12 Jahre zu reduzieren – die „deutsche Frage“ gibt es ja erheblich länger. Und sie kann uns wieder auf die Füße fallen, wenn die Politiker ihr Europrojekt nicht in die Reihe bekommen:

Seit der Reichsgründung 1871 sah sich das Deutsche Reich von zwei Nachbarn bedroht: Frankreich und Rußland. Denn im militärischen Sinne hat Deutschland weder natürliche Hindernisse als Schutz noch (wie Rußland) strategische Tiefe. Folglich wurde in der Diplomatie eine Politik verfolgt, die verhinderte, daß sich beide Mächte gegen Deutschland verbündeten – als beispielhaftes Stichwort mag hier der Hinweis auf die Bismarcksche Gleichgewichtspolitik genügen.

Freilich provozierte diese Sichtweise das Gegenteil: Denn sowohl Frankreich wie auch Rußland waren sich im Klaren, daß sie einzeln einen Krieg gegen Deutschland verlieren würden. Folglich trieb die Gefahr eines großen Deutschlands die beiden Mächte 1894 zum Zweierverband zusammen.

Und es geschah noch erheblich mehr: In der Erkenntnis, daß Deutschland einen gemeinsamen Angriff Frankreichs und Rußlands nicht überstehen würde, sahen deutsche Politiker und Militärs nur eine Chance der Verteidigung: Ihrerseits einen Kriegszeitpunkt festzulegen, um erst ein Land niederzuschlagen und dann mit dem anderen situationsbedingt zu kämpfen oder zu verhandeln.

Als es dann wegen zu lösender Kolonialfragen zu einem engl.-frz. Bündnis 1904 kam, das 1907 aus demselben Grund noch um Rußland erweiter wurde, betrachtete man diese Allianz als Politik der bewußten Einkreisung – die Alarmglocken schrillten. Was folgte, war die Präzisierung der bereits erwähnten Militärtaktik: erst Frankreich niederzuschlagen, um sich danach Rußland zuzuwenden und gleichzeitig England außen vor zu halten.

In beiden Weltkriegen wurde diese Taktik angewendet, und in beiden Weltkriegen schlug sie fehl.

Was folgte, war die Einbindung Deutschlands  mit zwei für die jetzige Diskussion wichtigen Resultaten:

  •  für die Nachbarn war Deutschland keine Gefahr mehr, sondern ein berechenbarer Partner,
  • für Deutschland gab und gibt es keinen Grund mehr für Einkreisungsängste.

Wirklich nicht? Die Eurokrise hat dazu geführt, daß bei vielen Deutschen mittlerweile das Gefühl entstanden ist, in der EU nur noch von Nehmer-Ländern umgeben zu sein. Faktisch ist, wie wir wissen, diese Sichtweise übertrieben, aber nicht grundsätzlich falsch:  Schließlich sind wir der größte Beitragszahler, und wir übernehmen die größten Haftungsrisiken. Damit aber hat der Euro eine der deutschen Urängste – die Einkreisung – wieder belebt, um deren Abschaffung – als eins von zwei Zielen – willen die EU überhaupt erst gegründet wurde. Es ist heute keine militärische Einkreisung mehr, aber die wirtschaftliche, die befürchtet wird. Nicht trotz, sondern wegen unserer wirtschaftlichen Stärke.

Damit aber hat die Eurokrise etwas heraufbeschworen, was in der Sendung leider überhaupt nicht erwähnt wurde: die Gefahr, daß hier uralte, längst verstorben geglaubte Einkreisungs-Gespenster wieder erwachen. Aber das kommt eben dabei raus, wenn man deutsche Geschichte nur ab 1933 wahrnehmen will – von wegen „Geschichtsblindheit“ (Steinbrück).

Sarrazin hat als Provokateurs-Profi, zu dem er sich gemausert hat, eine wichtige Debatte angestoßen. Zu wichtig, um sie Politikern zu überlassen, die aus einer relativ leicht zu bewältigenden Staats- und Bankenpleite eine schwere Krise Europas gemacht haben.

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